Mir hat das Leben in nahen Kontakt mit den Elementen schon als Jugendliche viel bedeutet. Hat es mich doch schon früh hingezogen zu Naturvölkern, die noch in Verbundenheit leben mit der Erde. Noch bevor ich mein Abiturzeugnis in der Hand hielt sass ich im Flieger nach Jamaika um diese Insel zu Fuß zu umrunden. Von da aus ging es dann nach Australien um dann in Asien endlich das Gefühl zu bekommen angekommen zu sein und eine tiefe Erfüllung zu finden beim Kochen am Feuer, Teilen meiner Strohhütte mit kleinen (bestenfalls) Vierbeinern und einem Leben ohne Strom. Vorallem hat mich allerdings das Leben der buddhistischen Mönche und Nonnen fasziniert. In Burma -heute Mynamar- hat mir eine angeboten in ihrer Höhle zu bleiben um Buddhismus zu praktizieren und zu studieren…fast, fast, wäre ich geblieben.

Als ich mit 27 mit Baby im Bauch und Buddhastatue auf dem Rücken aus Sri Lanka in Deutschland ankam bestand mein Besitz aus fünf Bananenkisten gefüllt mit Sachen, die ich in den drauf folgenden Wochen fast alle verschenken sollte. Zugegeben, um die Tagebücher finde ich es heute manchmal schade…

Jetzt -17 Jahre später- habe ich mit einem Grossteil meiner Familie unser Haus für diese einjährige Busreise hinter mir gelassen. Angehäuft hatten sich so unglaublich viele Sachen, die wir in den letzten Jahren gehortet hatten. Obwohl wir schon ein Zirkulationssystem in unserem Haus haben, das heisst wenn was neues rein kommt (was meistens zum Glück schon aus zweiter, dritter oder vierter Hand ist) wird was altes aussortiert und zum Fundus gebracht. Und ich weiss, dass die meisten anderen deutschen Familien noch viel mehr Zeugs haben. Warum um Himmels Willen häufen wir so viele Dinge an? Und nicht nur Gegenstände. Auch ist mein Leben meist voll mit Terminen, Verabredungen, Gesprächen, To-Dos und vielem Hin- und Her. Und voll mit Gedanken.

Die Casa, die wir gerade bewohnen. Ich schlafe dennoch im Bus oben am Berg.

Jetzt sind wir hier. Zentralportugal. Die Worte finden nur schwer ihren Weg durch die Tastatur hier her. Mein Blick bleibt hängen an der Weite zwischen den Bergen und den herbstfarbenen Eichen, die als Farbtupfer den grünen Eukalyptus- und Kiefernwald beschenken. Idyllisch ist es hier an diesem Flecken in Portugal, der im Wald liegend von zwei Frauen, zwei ihrer Kinder und mehr als 50 Tieren bewohnt wird. Tiere, die nicht getötet werden, das haben wir vorab erfragt. Sieben Kinder sind hier aufgewachsen, beziehungsweise wachsen hier noch auf. Natur so weit das Auge reicht. Kinder, die nicht zur Schule gegangen sind. Als ich den einen 12-jährigen Jungen frage ob er denn auch englisch lernt, schaut er mich fragend an und erwidert staunend: “Lernen? Was meinst du mit Lernen?” um im weiteren mit mir in fließendem Englisch zu kommunizieren. Wie viele Kinder, die nicht zur Schule gehen sind auch diese hier wandelnde Lexika und Handwerkfreaks.

Neben mir rauscht der Fluss, deren Wasser durch ein komplexes Schlauchsystem in unserer Draussenküche ankommt. Meistens. Jedes der Kinder hier, die in dieser Wildnis aufgewachsen sind, weiss genau (und hiermit meine ich in diesem Fall GANZ genau) wie das Wasser im Wasserhahn ankommt, wie der Strom in der Steckdose kommt. Letzteren gibt es nur ab und zu. Was ich wunderbar finde. Mir bewusst aus suchen zu müssen wofür ich den an Regentagen wenigen Strom verwenden möchte.

Anfangs hatte meine 13-jährige Tochter eine leichte Ankommenskrise. Wie keine Dusche? Kein Klo? Nur kaltes Wasser und kein WLAN? Inzwischen möchte genau eben dieses Kind hier gerne noch länger bleiben als geplant. Weil weniger mehr ist. Weil genau das passiert, wenn wir unsere Gewohnheiten los lassen, auf unsere alltäglichen Dinge verzichten, unseren trägen oft unbewussten Konsum (auch von Strom, Wasser und Gas) einstellen: Wir ent-falten uns. So wie ich hier jetzt einfach sitze und alles in mir und um mich herum weich wird wenn sich das Herbstlicht von seiner langen Reise auf meiner Haut ausruht. Und mein Blick sich an der Feuerstelle und unserer Badewanne, unter der wir ein Feuer entzünden können für heißes Wasser, erfreut. Was für ein Luxus hier unter dem Sternenhimmel dann abends doch warmes Wasser zu haben!

Lesestunde am Morgen.

In den buddhistischen Lehren wird von den 10 Paramita gesprochen. Die 10 transzendenten Tugenden, die unser Sein transformieren und ans “andere Ufer der Weisheit” führen können, ans Ufer der Befreiung, des Wach-werdens, der Erleuchtung. Wenn wir diese Tugenden kultivieren und in unserem Leben Raum geben, dann öffnet sich etwas, ein neues Verstehen. Auch Freude, Fülle und Leichtigkeit. Die erste der Tugenden ist Großzügigkeit. Die zweite ethnisch waches Verhalten und die dritte ist Entsagung, Verzicht. Nekkhama Parami auf Pali genannt. Warum bringt diese Tugend in uns Menschen so schnell Widerstand auf? Wir sind so sehr unseren Komfort gewöhnt, dass es uns schwer fällt mit weniger zu leben. Und! Es geht nicht vorallem und vornehmlich um den Verzicht von Dingen. Mit Entsagung ist hier vorallem ein Loslassen von unseren Anhaftungen gemeint, nicht das Loslassen von unseren Wünschen und Begierden, worin wir nur Scheitern würden. Nekkahma Parami ist eine Ausrichtung. Die Intention in uns zu kultivieren unser Haben-wollen und Nicht-Haben-Wollen zu lockern. Vorallem auch in Bezug auf unser vermeintlich festes “Ich” und unsere uns selbst und andere verletztenden Emotionen. Ein Loslassen von der Anhaftung an unsere Wünsche und Sehnsüchte.

Für mich bedeutet das den Verzicht von meinem Drang nach Perfektion, meinem Muster zu kritisieren und zu verbessern. Ein Loslassen von Gewohnheiten von denen ich weiss, dass sie niemandem nutzen. Schweigen ist dagegen ein Gewinn, ein Geschenk, oftmals vorallem auch für mein Gegenüber.

Auf den Weg zu heissen Quellen in den Pyrenäen

Anstatt wie Buddha meine Familie hinter mir zu lassen und dem weltlichen Leben den Rücken zu zu wenden habe ich meine Familie mit genommen in dieses Abenteuer von Verzicht. Eigentlich haben wir im Bus noch viel mehr als wir tatsächlich brauchen. Und nur ein Bruchteil der Dinge, die uns zu Hause umgeben. Was für ein Geschenk! Viel mehr Überblick über kleinere Wäscheberge, weniger zu Putzen, drauf auf zu passen, weniger was wir verlieren könnten, das kaputt gehen könnte und so weiter. Gerne würde ich an dieser Stelle unser Busleben beschreiben. Aber wie beschreibt man Leben auf 4 Quadratmetern, die zugleich Wohnfläche, Küche und Schlafraum sind. Jeder Schritt ist durchdacht. Wenn wir eine Schublade öffnen müssen alle sich bewegen. Wie bei so einem Schiebe-Kniffel-Brettspiel. Alle Stücke müssen in der Richtigen Reihenfolge bewegt werden, damit überhaupt Bewegung statt finden kann. Das ist witzig. Und wenn draussen Kälte, Nässe und Sturm ist – wie auf Menorca – dann ist es herausfordernd. Ich finde wir meistern das fabelhaft!! Nur ob wir Tracy Chapman, Leonard Cohen, Bob Marley, The Cure oder doch ein Hörspiel hören, darüber werden wir uns oft nicht einig.

Verzicht. Alles in allem: Einfachheit. Innerhalb von drei Wochen haben wir keine Dusche gesehen. Außer einmal bei unseren Freunden auf Menorca. Statt dessen waren wir im Mittelmeer baden, haben heraus gefunden, dass man sich auch auf Café-Toiletten waschen kann und: Ich habe mich in einer Pfütze (!) im Wald gebadet. Das war Premiere! Verzicht auf unser gewohntes beheiztes Badezimmer heisst in diesem Fall: Nackt durch den Wald rennen um mich anschliessend an einem Feuer zu wärmen. Das ist Lebensqualität pur für mich! Eine Toilette haben wir in den letzten knapp vier Monaten nur selten gesehen und wir freuen uns dass wir wenigstens etwas Ressourcen sparen, verbraucht der Bus ja auch so einiges an Sprit.

Unser Home für zwei Nächte. Mitten in Wind und Wellen auf Menorca. Hier möchte ich am liebsten bleiben!

Verzicht heisst auch auf unser gewohntes Essen zu verzichten, Und nicht um irgendwelchen tollen indischen oder thailändischen Gerichte zu konsumieren sondern tatsächlich weil hier die Regale nicht so voll sind wie bei uns in Deutschland und Restaurants für uns nicht in Frage kommen. Ich begreife nur sehr langsam, dass Portugal ein armes Land ist, in dem der Mindestlohn bei 3,50 Euro liegt und viele Menschen keine Toilette besitzen. Und merke wieder einmal auf dieser Reise wie unglaublich verwöhnt ich bin von dem Land, in dem ich aufgewachsen bin.

Kochen draussen.

Verzicht heisst immer noch, dass weniger mehr ist. Dass meine Tochter sich in Wahrheit doch über die draussen-Badewanne freut und ich mich an der klirrenden Morgenkälte erfreue, die mir unter die Haut kriecht währen ich draussen Holz hacke oder Wasser koche. In mitten von Natur. Luxus pur 🙂

Vorallem heisst diese Reise viel von: Einfach so sein. Zusammen Lachen, Reden, Kuscheln, Stricken, Kochen, Backen, Zuhören.

Und was kannst du Loslassen? Was wäre gut abzugeben, einzustellen, aufzuhören? Ein guter Zeitpunkt für was neues!

Und während ich dies schreibe erreicht mich ein Video von meiner grossen Tochter aus Estland, wie sie bei Minus 10 Grad Eisbaden geht. Von wem sie das wohl hat?? Leider darf ich es nicht veröffentlichen um dir zu zeigen, wie sie so bewusst im Atem und wach im Körper zentriert in das Eiswasser steigt.

Wenn du mehr Eindrücke über unsere Reise bekommen magst, dann schau dir die ersten 5 Minuten meiner YouTube-Videos an, oft zeige ich den Ort an dem wir gerade sind und erzähle was dazu…