Du hast eine Aufgabe zu erfüllen. Du magst tun was du willst, magst hunderte von Plänen verwirklichen, magst ohne Unterbrechung tätig sein – wenn du aber diese eine Aufgabe nicht erfüllst, wird alle deine Zeit vergeudet sein.
Rumi

(Bild: 40 Tage wandern von Istanbul nach Konya. Bis zu 35 Kilometer am Tag. Die Kinder machen das super mit!!)


Während ich hier schreibe werde ich von einer Hängematte geschaukelt, die wir neben unserem Bus in einem Wald aufgehängt haben. Die Erde, auf der wir uns befinden wird Polen genannt. Seit Stunden schon habe ich nichts getan. Mein Blick fällt in das satte Grün der Baumkronen, die meine Seele in ein Gefühl von „zu Hause sein“ einbetten.

(Bild: Wenn ich nicht in der Hängematte liege, dann direkt auf dem Waldboden.)

Es braucht nichts weiter. Alles ist da. Hier liegen, meine Sinne von dem üppigen Leben um mich herum offen und ein wenig berauscht von der vielen Zeit, die wir uns durch dieses Reisejahr schenken. Ich ruhe aus in den Liedern der Vögel, im Wind zwischen den Blättern und im Gesang meines Sohnes, der mit seinem Kletterseil in den Bäumen hängt. All das ist genug. 

Mein Sein fühlt sich zum unzähligen Male in das Abenteuer hinein, das wir erlebt haben. Ein echtes Abenteuer. Jede Zelle meines Körpers ist noch erfüllt davon, angereichert mit Erinnerungen, die meinen Körper mit Bildern und Empfindungen beschenken. Lauter Fotos in mir, die ich gemacht habe von unseren tollen Kindern. Mit dem imaginären Fotoapparat. Auch viele echte – doch die „so tun als ob“ und dabei mit meinen Händen einen Fantasiefotoapparat vor dem Gesicht darstellen…das sind die schönsten. Diese Fotos mache ich mit dem Herzen. Und die Kinder wissen das. 

(Bild: Unsere Pilgerwanderungen sind Bonding pur für uns.)

Ich mache Aufnahmen von Ihnen wie sie nach einem 9-ständigen Aufstieg bei Blitz und Donner oben am Berggipfel ankommen. So-als-ob Fotos von meinen Kindern in Eksikehir neben Bronzefiguren auf Parkbänken positionierend, wie sie Hand-in-Hand einen Berg runter rennen (während mein Mann und ich vorsichtig einen Schritt vor den anderen setzen). Bilder, wie die jungen Wanderer mitten auf einem Weg über ihrem Gepäck liegend eingeschlafen sind. Mein Herz hüpft vor Freude, Mutterliebe und Dankbarkeit während es weiter knipst!

(Bild: Während ich im Nichts Online-Yoga unterrichte machen die Kinder öfters mal Feuer.)

Nach 801 Kilometern Pilgern auf einem Pfad, der oft keiner ist,, durch die Türkei…danach sind wir nicht mehr dieselben. Uns alle hat diese Pilgerwanderung tief bewegt und verändert. Nur einmal haben wir einen anderen Wanderer getroffen. Er kam uns aus Ägypten entgegen gelaufen. Ein Blogartikel kann die Größe dessen, was wir er- und durchlebt haben nicht erfassen. Ja, vielleicht finden die Worte in mir mal den Weg in ein Buch.

(Bild: Nach einer Nacht draußen schlafen kommen wir schon früh an einem Dervish – Komplex an. Aus den Gemäuern verzaubert uns Sufimusik.)

Ein bisschen Teilen von Fotos und Eindrücken mag ich allerdings jetzt schon. Berichten über die grandiose Gastfreundschaft der türkischen Menschen, denen wir begegnet sind. Eine Einladung zum Essen oder das Angebot eines Schlafplatzes ist nicht etwas, das einem in der Türkei ab und zu entgegen gebracht wird. Ich mag behaupten, dass nahezu jeder Mensch, dem wir begegneten uns diese Fürsorge anbot. Überall wo wir auf Menschen trafen gab es Tee, Essen, einen Schlafplatz oder alles auf einmal.

(Bild: Überall werden wir eingeladen. Wir müssen oft absagen, sonst kommen wir nie in Konya an. Lukas übersetzt – danke Deepl-Translater….)

Hast du schonmal einen Einkauf im Supermarkt gemacht um an der Kasse zu hören bekommen, dass jemand anders deinen Einkauf zahlen möchte? Kannst du dir vorstellen, auf einer Parkbank zu schlafen und dann nach Mitternacht vom Bürgermeister geweckt zu werden, der dich von der harten Parkbank (auf der ich sehr gut geschlafen habe) zu wecken um dir ein Bett zu Hause anzubieten? Sowas und andere Begebenheiten (ich sag ja, ein Buch muss her) sind uns ständig, wenn wir nicht in einsamer Gegend unterwegs waren und draußen geschlafen haben, sogar täglich passiert.

Meistens sind es Familien, die uns aufnehmen, Großfamilien, die uns ihr Wohnzimmer zur Verfügung stellen für die Nacht, ein Raum in dem sie sonst selbst schlafen. Die Sofas lassen sich in der Regel ausziehen und es wird immer darauf bestanden die Betten zu beziehen für uns, obwohl wir ja Schlafsäcke dabei haben. Oft hören wir die Sehnsucht danach auch nach Deutschland kommen zu wollen. Um da zu arbeiten und endlich ausreichend Geld zu haben. Unsere Gastgeber sind fast immer arm. Zumindest wenn man es auf der finanziellen Ebene betrachtet. An Freude, Familienzusammenhalt und Großzügigkeit sind sie reich. Ein befreundeter Gemeindemitarbeiter, der einen angesehenen Job hat, verdient 400 Euro im Monat. Und er leidet. Darunter, dass das Geld nicht reicht. Alle klagen darüber. Das Essen aus dem eigenen Garten lässt sie überleben. Denn Lebensmittel aus dem Supermarkt sind genau so teuer wie bei uns in Deutschland. Wir hören Sorgen darüber, dass die Kinder keine Möglichkeiten haben. Nicht mal für die vergleichsweise gut situierte Familie des Gemeindemitarbeiters wäre es möglich seinen Kindern Schwimmunterricht oder Ähnliches zu ermöglichen. Zumal es so ein Angebot nur sehr selten gibt. Zudem hören wir oft Verzweiflung über die Absichten und Machenschaften der türkischen Regierung. Angst davor, dass Religion zur Pflicht wird und das Leben noch mehr einschränkt.
In der Tat können wir die wunderschönen Moscheen irgendwann nicht mehr so genießen wie anfangs. Je mehr wir mit kriegen, wie versucht wird den BürgerInnen des Landes ein Kopftuch oder den Gang zur Moschee aufzuzwingen desto weniger freuen wir uns über die an Menge penetrant wirkender Gotteshäuser. Überall erheben sich neu gebaute Moscheen aus dem Boden, oft gibt es in einem winzigen Dorf gleich zwei oder drei davon. Dafür scheint also doch Geld dazu sein.

(Bild: Morgens nach dem Aufwachen im Park erstmal Yoga machen. Die Kinder machen auch mit! Mit dem Bürgermeister sind wir nicht mitgegangen, die Kinder haben schon so tief geschlafen.)

Und all das wirft Staunen in mir auf. Und Fragen. Manchmal Wut, oft Mitgefühl.

Welche Werte möchte ich leben? Und tue ich das wirklich? Was kann ich der Welt von mir schenken? Was kann ich zurück geben? Und vorallem immer wieder die Frage: Wie kann es sein, dass der Umgang mit Fremden und mit den eigenen Gütern so anders in der Kultur gelebt wird, in der ich aufgewachsen bin? Mir würde es wahrlich sehr schwer fallen zwei Stunden in der Küche zu stehen, ein leckeres Mahl zubereitend, um dies dann an die nächsten vorbei kommenden Pilger zu verschenken.

Langsam verstehe ich, dass meine Annahme des Essens oder eines Schlafplatzes tatsächlich Geschenk genug ist. Dass unsere Präsenz und unser Appetit Dankbarkeit auslösen. (Übrigens von wegen man kommt in der Türkei als Veganerin nicht zurecht. Es gab immer mehr Essen als wir essen konnten.) Schließlich habe auch ich es als Wohltat erlebt, wenn ich eine Frau mit ihren Überforderungen halten durfte, wenn ich ein bisschen Yoga unterrichten konnte oder etwas Nützliches verschenkt habe.

In mir verwischt sich alles. Ich verstehe, dass ich nichts weiß. Konzepte schmelzen dahin und andere bauen sich auf ohne, dass ich es bewusst wahr nehme. Geben und Nehmen löst sich aus Vorstellungen um wieder aufzutauchen in dem Blickkontakt mit einem Menschen, dessen Sprache ich nicht verstehe. Und gleichzeitig ist so viel Verstehen da. Wenn unsere Atemzüge sich im selben Raum bewegen, unsere Finger das gleiche Essen aus der selben Schüssel an unsere Münder führen, wenn unsere Gesichter am Feuer erhellt und erwärmt werden unter den Milliarden von Sternen.

(Bild: Wir freuen uns sehr, dass wir wie zu Hause auf dem Boden sitzen können.)

Noch nie vorher habe ich mich so sicher gefühlt in einem Land. Der Bürgermeister des nachts kam mit zwei Männern in den Park, ich mache die Augen auf und weiß: Die wollen uns Gutes!

Mein Sohn kommt angerannt und schaukelt mich in der Hängematte. Beim Niederschreiben dieser Worte spüre ich ein mulmiges Gefühl in meinem Herzraum. Für dieses mein Nirmala-Wesen ist es nicht leicht sich wieder der deutschen Mentalität zu nähern. Mit ihrem Misstrauen, den klaren Strukturen, der kühlen Distanz. Ich habe Sorge vor Bewertungen, die sich durch die Stille meines Geistes bewegen. Und weiß doch, dass sie niemandem schaden können, wenn ich wach bleibe. Mich dem Raum zuwende in dem das Urteilen geschieht. Und dem Raum dahinter. 

Möge das Feuer der Großzügigkeit in mir leuchten. Möge es da wärmen und unterstützen, wo Wärme gebraucht wird. Möge ich frei sein von Urteilen über Menschen, in deren Schuhen ich nicht gelaufen bin.

(Bild: Und wir hatten erst noch Sorgen, dass wir während des Ramadans nirgends etwas zu essen kaufen könnten…)

Ich danke. Zutiefst danke ich all den Menschen, die uns bei sich aufgenommen haben, oft ohne dass wir überhaupt darum bitten mussten. Ich danke all denen, die uns Essen gebracht haben, meistens aus ihren eigenen Gärten, manchmal gerade frisch zubereitet für die eigene Familie. Ich danke für jedes interessierte, offene Lächeln, das mir immer ein Gefühl von „Ich bin willkommen und erwünscht“ geschenkt hat. Ich danke für die vielen Cay-Einladungen, auch wenn ich eigentlich keinen Schwarztee mag.

Möget Ihr alle vom Leben beschenkt sein. Mögen Eure Wünsche in Erfüllung gehen und sich Eure Großzügigkeit in die Welt hinein ausbreiten.

(Bild: Wir begegnen vielen Schildkröten und werden nicht satt davon ihnen zuzusehen.)

Übrigens: Ab September finden zusätzlich zu den Online-Angeboten auch wieder live und 3D- Kurse im Lebensgarten statt. Alles auf Danabasis! (Du zahlst, was es dir wert ist im Rahmen deiner Möglichkeiten.)