Es geschieht wirklich. Ich bin im Vashlovani Nationalpark und kurz davor auf ein mit Filzdecken gesatteltes Pferd zu steigen. Was tut Mama nicht für ihre Tochter?! Denn diese hat sich dieses Abenteuer gewünscht, als Ausgleich zu der großen Langeweile, die sie in Portugal durchlebt hat.
Gesagt getan. Hier sind wir nun bis nach Georgien gefahren mit unserem Citroën Jumper. Ganz anders hatte ich mir unsere Reise vorgestellt, hatte Bilder von Sonne und Strand in mir…Statt dessen fahren wir durch Schnee an der Schwarzmeerküste der Türkei. Da ich mich darin übe jede Situation zum Erwachen in Leichtigkeit, Liebe und Toleranz anzunehmen, bin ich mit den Umständen entspannt. Wer bekommt schon bei Minus Acht Grad und Eis von innen am Fenster am Morgen von gastfreundlichen Türken frisches Brot an den Bus geliefert? Die Gastfreundschaft der Menschen in der Türkei, die wir sehr schätzen und danken (eben auch deswegen, weil unsere Kinder das erleben dürfen!) sorgt dafür, dass wir langsam vorwärts kommen, da wir oft zum Tee und in Honig getränkten Süßigkeiten eingeladen werden.
Vashlovani Nationalpark. Karstlandschaft im äußerstes Südosten Georgiens. Mein Po! Gleich am ersten Tag sind wir sechs Stunden mit den Pferden unterwegs. Wir sind 5 Teilnehmerinnen, die sich diesem Abenteuer, dass meine Freundin Annette – die sich vor 10 Jahren in dieses Land verliebt hat – organisiert, angeschlossen haben. (Für mehr Fotos schau auf ihre Webseite wildes-zeug.de.) Darunter meine Pferdebegeisterte 14-jährige Tochter und ich völlig unerfahrene Reitanfängerin, die ehrlicher Weise sogar ein bisschen Angst vor Pferden hat. Zwei georgische Guides, Soso und Dima, Brüder, der eine von ihnen stolzer Besitzer 65 Pferde, die in der Wildnis Georgiens viel Platz und unendliche Weite genießen. Und eine weitere Mutter mit ihren zwei Töchtern, die sich nach ein paar Tagen wie Familie anfühlen für uns. Annette und ihr Mann Wolfgang, zum Glück für mich ein weiterer Reitanfänger, haben tagelang für uns eingekauft, vorallem viel Gemüse. Dann gibt es noch unseren treuen Fahrer Atschiko, der unser Gepäck transportiert und morgens beim Aufsatteln und Versorgen der Pferde hilft.
Am nächsten Morgen auf der Farm von Soso wache ich auf und suche mir draußen einen Platz für meine Yoga- und Meditationspraxis. Gar nicht so einfach! Obwohl mich scheinbar unendliche Weite umgibt bin ich eingekesselt zwischen diversen Schafs-, Pferde- und Kuhherden, dazu die jeweiligen Hirtenhunde. Die Geräuschskulisse in dieser Stille ist ergreifend und erfüllt mein ganzes Sein. Ich entschließe mich dazu einfach nur stehen zu bleiben und wahrzunehmen. Und sofort fühlt sich alles eins und weit an…und sehr friedlich.
Heute bekomme ich ein anderes Pferd, das mich die nächsten sieben Tage begleiten wird. Anscheinend trabt es nicht so dolle (aua) sondern töltet, was immer das genau ist. Jedenfalls tut der Po nicht mehr so weh. Mein Pferdchen will eigentlich nicht so recht mitgehen sondern lieber zurück zur Herde und sofort plagen mich Gewissensbisse ob ich das wirklich einem Tier antun möchte. Ich lebe seit mehr als 20 Jahren vegan und schätze die Freiheit von Tieren sehr!! Nun gut, ein Zurück gibt es jetzt sowieso nicht mehr. Die ersten 10 Kilometer versucht Soso seinen Hund, der uns hinterher gelaufen ist zurück zur Farm zu schicken. Erfolglos. Wir taufen ihn Mandarin und er ist also die ganze Woche bei uns, was sich als extra Spannungseinlage in diesem sowieso schon großem Abenteuer heraus stellt. Denn wir müssen ihn immer wieder vor den Hirtenhunden, denen wir begegnen retten. (Das sieht dann so aus, dass wir alle zwischen Hirtenhund und Mandarin reiten und somit versuchen eine Barriere zu errichten. Naja, ich würde nicht sagen, dass ich irgendwohin reite, mein Pferd folgt einfach den anderen….Oder auch nicht und dann holt mich Dima oder Soso irgendwo ab😊 Diese regelmäßigen Abwechslungen sind für mich Anfängerin voll mein Ding, wie man sich denken kann ……………. („Hilfe! Hirtenhunde! Rettungsaktion für Mandarin! Festhalten! Augen zu und durch!“)
Immer tiefer reiten wir in die Wildnis hinein, wo es dann schließlich auch keine Schafsherden mehr gibt. Die Landschaft zieht in Grau-, Beige-, Ocker- und Brauntönen an mir vorbei und ich gehe ins Vertrauen. Was anderes bleibt mir auch garnicht übrig. Wann immer ich zwischendurch mal absteigen kann, spüre ich bewusst meine Füße auf der Erde und sauge die Kraft dieser gewaltigen Natur in mir auf. Definitiv ziehe ich das Laufen auf meinen eigenen Füßen dem Reiten vor. Wenn die Pferde mal still stehen wird auch drum herum alles still. Wundervoll. Oft schließe ich meine Augen und spüre wie die Erhabenheit der Natur meine Meditationspraxis unterstützt.
Die erste Nacht in unserem Zelt genieße ich mit vollen Zügen, trotz der ungewohnten Geräusche. Irgendein Tier hat nah an dem Zelt, das ich mit meiner Tochter teile, geschabt. Ich bin durch und durch glücklich wieder umgeben zu sein von Mutter Natur und vertraue mich ihr an. Ich spüre die Gleichzeitigkeit von allem. Der Sternenhimmel über uns, Schakale, die laut rufen in der Ferne, das Feuer, über dem wir gekocht haben, unsere lieben Guides, die zum unzähligsten Male auf irgendetwas anstoßen. Auf die Liebe, die Freiheit, die Frauen, den Frieden, die Natur, die Erde, die Verstorbenen, das Essen. Ohne Trinkspruch, der oft von Herzen kommt, wird hier kein Schluck getrunken und danach dann gleich das ganze Glas leer. Und dann mein ruhiges Herz, die Seelenbewegungen meiner Tochter, mein Mann, der mit meinem Sohn auch Wildniszeit hat, meine Tochter Leela, die gerade Polarlichter in Lappland bewundert, meine Eltern, die ihr Leben in Rente so aktiv gestalten als wären sie 20, der Krieg in der Ukraine, die fröhlichen Russen, mit denen wir Sauna und Baderaum in Tiflis teilen…Alles ist da. Und nichts davon.
Am dritten Tag bin ich noch immer nicht vom Pferd gefallen. Es geht durch sehr steiniges Gelände mit Wahnsinns-Ausblicken, wunderschön. Meine Tochter, die meist mit den anderen Mädels vorweg reitet, würde gerne mehr galoppieren, mir dagegen ist das ruhige Tempo sehr angenehm. Über uns fliegen Adler, unter mir laufen immer wieder Landschildkröten. Abends zelten wir am Fluss, in dem ich mich auch wasche. Es ist kalt, das Feuer wärmt uns und wie immer gibt es viele leckere Dinge zu essen, die in der Natur ganz besonders gut schmecken. Im Zelt haben Jyoti und ich einen Lachflash nach dem anderen und werden später noch von Hirten überrascht, die am Fluss ihre Wasserkanister auffüllen für ihre Tiere. Hätten wir doch mal näher bei den anderen gezeltet…
Morgens bekommen wir mit wie eins der Pferde sich sträubt gegen Sattel und Zaumzeug. Die Situation ist nicht schön anzusehen und Jyoti geht mit Tränen da durch. Die Gleichzeitigkeit von allem…
Wir galoppieren heute mehr und ich habe keine Angst mehr vom Pferd runter zu fallen. Und: Ich habe Angst davor, dass eins der Pferde stürzt, was bei einem steilen Abstieg in ein Flussbett schon geschehen ist. Zum Glück kam die Reiterin mit einem kleinen Schrecken davon. Dennoch ein Eindruck hinterlassendes Bild für mich. Wir reiten täglich bis zu 30 Kilometern, die nächsten Tage am Grenzfluss von Aserbaidschan entlang. Zwei Nächte stehen uns Bungalows zur Verfügung, die Jyoti und ich gerne ablehnen und weiter in unserem Zelt noch bis tief in die Nächte hinein quatschen. Wie dankbar ich bin diese intensive Zeit mit ihr zu haben! Ihr Handy hat sie ganz von sich aus im Bus gelassen. Oft gibt es sowieso keinen Empfang. In endloser Weite ein surreales Bild: Die Ranger haben an der einzigen Stelle über viele Kilometer einen Kinderstuhl aufgestellt und einen Ast. In der Astgabel hat man Empfang!! Und nur da!!!