Eigentlich dachten wir in einem ruhigen Waldstück hier in Georgien, nahe der türkischen Grenze gecampt zu haben. Müde waren wir als wir abends hier ankamen, noch immer unter den Eindrücken der leuchtenden bunten Grossstadt, die wir zuvor passiert hatten. Batumi am schwarzen Meer hat sämtliche moderne sowie alte Gebäude in bunte Lichterketten gekleidet. Obwohl bei uns Städte nicht hoch im Kurs stehen sind wir doch fasziniert von diesem skurrilen Farbspiel.

Unser Schlafplatz, der sich dann doch als Treffpunkt für Menschen und Tiere herausstellt, bedeutet für mich, dass ich die Freitags-Morgen-Yogastunde zwischen Kühen und Bauern unterrichte, die sich vermutlich wundern über mich, die am Wegesrand merkwürdige Verrenkungen praktiziert. Mein Stativ steht dabei im Schlamm gemixt mit Kuhfladen von dessen Verursachern es fast umgelaufen wird. Ich bin froh, dass es wieder warm genug für Draußen-Yoga ist, steckt mir die Kälte des hohen Kaukasus noch in den Knochen.

Eines meiner vielen Outdoor-Yogastudios. Hier an einer antiken Stätte in der Türkei.

Zurück am Bus packen wir unsere sieben Sachen und machen uns auf den Weg in die Türkei. Eine halbe Stunde später befinden wir uns im absurden Gewusel aus Menschen verschiedener Herkunft, die meisten von ihnen mit in Plastik verpackten Kartons die Grenze zu Fuß überquerend.

Wir brauchen einen Covid-Test, was viele der umstehenden Schlepper schon vermuten und uns die vielfältigsten Angebote machen – auch von Dingen, die wir nicht brauchen… Schließlich befinden wir uns in einem winzigen selbstgebauten Container, in dem uns der Bewohner (oder Angestellte) mit Wink auf eine Pritsche verständlich macht, dass er dort genächtigt hat. 

Mit Kippe im Mund werden die Schnelltests raus geholt und die Frau von nebenan aus der Wechselstube geholt um uns den Test abzunehmen. Nun muss noch ein Kabel verlegt werden, um den Computer an den Start zu bekommen. Für ein Blatt Papier, dem später – wie wir schon vorher vermuten – niemand Aufmerksamkeit schenken wird.

Während Lukas mit unserem Bus die Grenze und damit verbundene Kontrollen passiert werde ich mit den Kindern durch Gebäude und Gänge geschleust, die an ein Flughafengebäude erinnern. Ab und zu fällt unser Blick aus den Fenstern, die von den Wellen des heute blau leuchtenden Meeres angespült werden.

Abschied nehmen im Hohen Kaukasus nahe der russischen Grenze.

In der Türkei angekommen hocken wir uns auf den Boden um auf unseren blauen Bus zu warten. Etwas mulmig ist mir schon zumute, so massiv getrennt von Lukas. Endlich erspäht meine Tochter ihn. Als wir einsteigen wollen, gibt es plötzlich 10 andere Menschen um uns herum, die auch schon dabei sind in unser Fahrzeug zu  kommen. Ich brauche ein paar Momente um die Situation einzuordnen und interpretiere sie so, dass in unserem Mobilheim ein praktisches Beförderungsmittel gewittert wird. Wir sehen das anders…

Nun geht unsere Fahrt erst richtig los. Eigentlich wollten wir keine langen Strecken am Stück mehr fahren. Das ist ein Schmerzpunkt für mich auf dieser Reise und anstrengend für mein Nervensystem. Bis nach Georgien sind wir gefahren um unserer 14-jährigen Tochter ihr heiß ersehntes Reitabenteuer zu ermöglichen. (Darüber kannst du HIER lesen)

Heute geht es mir nicht gut. Ich bin mit Angst aufgewacht und habe einiges an Zeit aufgewendet um meinen Parasympatikus zu aktivieren. Hand auflegen, Körperbereiche spüren, die sich okay anfühlen, Atem vertiefen, Schütteln… Schließlich hat mich das Unterrichten der intuitiven, sanften Morgenpraxis zwischen Kuhkacke und Haselnussbäumen wieder geerdet. 

Die georgischen Klöster sind erfüllt von Stille und Präsenz. Hier kann ich stundenlang in Meditation verbringen.

Vor ein paar Tagen habe ich gehört, dass wir unser lang ersehntes Haus im Steyerberger Wald doch nicht kaufen können. Der Grund: Die Nachbarn, die in nicht sichtbarer Entfernung auf einem Hof leben und Eigentümer des Landes (nicht des Hauses) sind, äußern voller Abscheu, dass sie Menschen, die aus dem Ökodorf kommen, in dem wir die letzten 13 Jahre gelebt haben, hassen. Zuerst war ich einfach nur traurig und erschüttert über diese Fremdenfeindlichkeit, die mir schon vorher in „unserem“ Dorf begegnet ist. Traurig über uns Menschen, die wir urteilen ohne wirklich zu verstehen und zu hinterfragen. Und beobachte die Tendenz, zu urteilen. Zu vergessen, dass Menschen aus Angst hassen und vielleicht aus Kummer vor ungeliebtem Leben. Mit einmal fühle ich mich von Weltschmerz durchdrungen und leide.

Wir sehnen uns danach aus der Enge des Lebensgarten Steyerbergs, den wir enorm schätzen und unsere Kinder sehr lieben, raus zu ziehen. Wir wünschen uns Platz zum Ent-falten. Platz für die Tiere meines Sohnes und für seine eigene Werkstatt, Ein Haus umgegeben von Natur. 

Und da bin ich. Mit meiner Verblendung. Gefordert damit, etwas haben zu wollen, was nicht da ist und etwas nicht haben zu wollen, was da ist. Eine wundervolle Möglichkeit meine buddhistische Praxis zu vertiefen. Alles ist vergänglich. Und Schmerz gehört dazu. Wo in mir finde ich den Raum ihn zu halten? Nicht nur meinen kleinen selbstbezogenen Schmerz, auch und gerade den Weltschmerz…

Anhalten und Aussicht genießen. Luft und Erde spüren.

Das Positive sehen. Hier und Jetzt. Nach weiteren drei Stunden durch Berglandschaft fahren, an einem irre großen Stausee entlang, der unzählige Häuser in sich verborgen hat, („Wir spinnen wir Menschen…“), machen wir zwischen 3000 Meter hohen felsigen Bergen, die sich wie Kleckerburgen imposant neben uns erheben, Rast. Campingtisch raus holen, Salat, Kräuter und die leckeren georgischen Kartoffeln zubereiten, dazu Abtanzen mit Musik… Da ist sie wieder diese pure Lebensfreude, zwischen Bergen und Fluss mit meinem Mann und unseren Kindern in aller Einsamkeit unter dem blauen Himmel abrocken. Yeah! Yeah! 

Pause. Kochen, Quatsch machen und Abtanzen.

Zwei Stunden später kriecht unser Auto durch 27 Tunnel, die mich mit meiner Platzangst sehr fordern (so dass ich im Bus aufstehe und tanzen muss) auf dieser neuen Straße entlang, die der Staudamm mit sich gebracht hat. So viel Geld, so viel Naturzerstörung für dieses Desaster der Menschen…und dabei kaum je ein Auto auf dieser riesigen Straße, die sich dort durch die Berge schlängelt.

Auf 2090 Meter Höhe steht zwischen schneebedeckten Bergen, die hier oben ein breiteres Tal zulassen, eine Moschee. Daneben wunderbar frisches Quellwasser. Dies wird unser Schlafplatz sein für die Nacht, mit Eispfützen zum Knacken am Morgen inklusive. Mein letzter Blick vor der Nachtruhe fällt auf den vollen Mond, der diese Mondlandschaft, die uns umgibt, in sein bezauberndes Licht taucht.

Unser Schlafplatz auf 2090 Meter Höhe.

Erfüllt von dem Leben hier draußen, von der Flexibilität und Freiheit, die wir haben, wird mein Atem tief und ruhig.  In all der Freude, dem Weh und der immensen Dankbarkeit für unseren Reichtum, vor allem den Reichtum unsere Kinder zu haben, bin ich mir schmerzlich der Vergänglichkeit von allem bewusst. Die Kinder werden größer und werden schon bald keine Lust mehr haben mit uns auf einen paar Quadratmetern in einem Bus zu leben… Desto intensiver versuche ich diese Zeit zu genießen und sauge all das gemeinsam Erlebte und Erfühlte in mir auf.. I love my family!!

Einsamkeit auf der Straße im Nordosten der Türkei. Dankbarkeit dafür, Familie zu haben.

Danke für dein Lesen! Ich freue mich sehr hier die Möglichkeit zu haben zu teilen. Schreib mir gerne ein Feedback wenn du magst! Zu meinen anderen Blogartikeln und Videos findest du HIER.

Ab dem 21. Juni werde ich über Zoom einen „Embodied YinYoga“-Kurs anbieten. Der Kurs wird 9x statt finden und ist von den Krankenkassen anerkannt. Eignet sich perfekt auch für AnfängerInnen oder wenn du deine Praxis vertiefen möchtest. Vielleicht wirst du so online einen Teil unserer Reiseeindrücke live erleben. Ich würde mich sehr freuen dich dabei zu haben!