Reisen mit Teenagern. Manchmal denke ich, sie muss DOCH verliebt sein. Wie kann man sonst mit so viel Durchhaltevermögen, Ausdauer, Enthusiasmus und Elan auf einem Handy rum tippen?
Der enge Griff um mein Herz, der jedes Mal zugepackt hat wenn meine Tochter stundenlang sich ihres technischen Gerätes bediente, hat sich ein wenig gelockert.

Liebe Eltern, kennt Ihr diese Qual wenn das Kind in diesen paar Quadratzentimetern versinkt? Oder seid Ihr es auch schon längst? Kennt Ihr diesen reflexhaften Griff zum Handy? Wieviel vom Leben findet da drin statt und wieviel noch drum herum?
Hier auf unserer Reise, die uns bisher von Deutschland über die Niederlande, Frankreich, Spanien nach Portugal und wieder nach Spanien geführt hat, begegnen uns öfters Bilder von Menschen, die gemeinsam in einem Restaurant sitzen, jeder mit einem Handy vor sich. (Ich erlaube mir hier einfach mal nur die eine Form zu nutzen…) Auch das Betrachten der Sonnenuntergänge, das zum Ritual geworden ist, wird von vielen Mitbetrachtern durch ihren Bildschirm wahr genommen. Und hab ich mich letztens verguckt, als eben meine Tochter auf dem Beifahrersitz sitzend ihr Handy vor sich auf dem Armaturenbrett stehen hatte, und sie die uns umgebende Natur durch ihren Bildschirm betrachtete??

Meine fast 14-jährige Tochter während der Rast auf einer unserer Wanderungen.

Das Handythema ist zeitweise Hauptstreitpunkt zwischen meiner (fast) 14-jährigen Tochter und mir. Seit ich verstanden habe – bin halt schon 45 Jahre alt und etwas hinter dem Mond geblieben – dass sie das Handy fast ausschließlich für ihre sozialen Kontakte nutzt (von denen es anscheinend doch keine 100 gibt) habe ich mich etwas entspannt. Davon gibt es ja auf dieser Reise etwas wenig für mein Kind. Reisen doch die meisten Familien eher mit jüngeren Kindern. Um genauer zu sein beschränkt sich der Lebensraum meiner Tochter auf etwa 5 Quadratmeter, die sie sich mit ihrem Kung-Fu-begeisterten 8-jährigen Bruder teilt (dies wird an dieser Stelle erwähnt, weil diese Kunst auch auf diesen paar Quadratmetern ausgeübt wird, allerdings auch in Fußgängerzonen, an Stränden oder Parkplätzen, sehr zum Leidwesen der Schwester). Außerdem gibt es an sozialen Kontakten noch den 38-jährigen Bonusvater, der peinlicher Weise neben dem Kung-Fu-Panda (wohlgemerkt, es ist ein selbst einstudiertes Kung-Fu…) aus der Familie noch seine Jonglierbälle an jeder Ecke raus holt und sein Übriges zur Show beiträgt. Und eben mich. Frau hinter dem Mond, die auch noch auf den 5 qm Yoga ausüben möchte.

Wir feiern den Geburtstag meines Mannes am Atlantik in Portugal.

Jetzt haben wir die letzten 2 Monate in Portugal verbracht und das Teenagerkind hat sich nach anfänglicher Freude vorallem gelangweilt. Zwischendurch war eine Freundin zu Besuch aus Deutschland – also nicht irgendeine sondern DIE Freundin, die schon seit Lebensanfang an ihrer Seite steht und wohl eben am anderen Ende der Leitung vor ihren paar Quadratzentimetern Bildschirm hängt.
Um der Langeweile entgegen zu wirken haben wir in Zentral-Portugal nur Baden im Mondschein unter den Sternen zu bieten, was positiv aufgenommen wird. Inklusive einen halben Tag Holz hacken und Feuer machen unter der Draußen-Badewanne (Siehe auch den letzten Blogartikel hier ….). Als die Langeweile in der „Wildnis“ zu groß wird muss was anderes her. Auch Lissabon, eine Stadt, in der ich mich endlich mal nicht als Ausländerin (oder Außerirdische) fühle, sondern, die mich mit ihren Farben, Gassen und vorallem verschiedenen Kulturen gleich in ihren Strom und Bann zieht, wird als langweilig wahr genommen. Vorallem weil es eben überhaupt nicht cool ist mit seiner Family durch diese Stadt zu ziehen zumal der Bonusvater auch noch so zerfleddert rum läuft (ich meine: sorry, wir leben eben grad „nur“ in einem Bus), dass er innerhalb von 30 Minuten 4x von Dealern angesprochen wird.

Nein. Wir wollen nichts kaufen. Wir wollen nämlich clean bleiben. Und zwar so richtig clean. Wie diese Sehnsucht das Finden eines Platzes zum Leben auf diesem Planeten erschwert, könnt Ihr in einem anderen Beitrag lesen…

Also. Zurück zur Langeweile. Diese wird durch Surfen, Reiten und einen tiefen Griff in den Geldbeutel etwas gemindert.

Endlich wieder auf einem Pferd!

Okay. Wir haben begriffen. Die Reise muss weiter gehen. Auch wenn Lukas und ich am liebsten noch viel mehr Menschen, Projekte und Communities kennen lernen würden in Portugal, sehen wir doch ein, dass für unsere Familien- und Reisedynamik Bewegung dran ist.

Und wir entscheiden gemeinsam unseren kleinen blauen Bus nach Georgien zu fahren, dort mit einer Freundin durch die Steppe zu reiten ( Annettes wirklich tolle Webseite findest du hier) bevor wir dann in der Türkei nochmal 801 km Pilgern wollen.

Bei dem Gedanken und beim Pläne schmieden kommt Leben in mein großes Kind, das ja schon fast keins mehr ist. Blöd nur, dass ausgerechnet jetzt sich unser Bus nicht bewegen will und der Keilriemen gewechselt werden muss. Okay. Wir verharren ein paar Tage in einem Zelt – wohlgemerkt dem einzigen auf diesem Campingplatz – in der Algarve, wo wir wie Sardinen aneinander gereiht sind, zwischen Wohnmobilen, die so groß wie Schiffe sind. Große Schiffe. Wie mein Mann bemerkt wird hier anscheinend nach dem Motto gelebt: “Auf einem Minimum an Platz ein Maximum an Materie anhäufen.“ Ich habe mit meinem Selbstwertgefühl zu tun, während ich neben diesen Besitztümern auf der Erde hockend unsere Mahlzeit (die paradoxer Weise nahrhafter und mehr wert ist, als all die anderen Gerichte dort neben uns) zubereite. Mein Teenager-Mädchen verbringt 3 Tage auf dem Klo, da es dort die einzige Steckdose weit und breit gibt. Erst bei unserer Abreise bemerkt sie, dass auf unserem Platz auch eine war und Strom inklusive ist. Das ist ein kleiner Schock für sie. Denn trotz sozialen, digitalen Kontakten war es dann wohl doch nicht so schön auf dem Klo…

Unser Bus ist fertig. Wir holen ihn ab um anschließend direkt weiter zu fahren nach Spanien. 14 Tage wollen wir uns bis nach Griechenland Zeit nehmen. Bei der Werkstatt lassen wir einen schmerzhaft großen Teil unserer Reiseersparnisse um 300 km weiter fest zu stellen, dass eine Warnleuchte blinkt. Mein guter Mann, der den Bus fährt und diesen Bereich unseres gemeinsamen Lebens managed, schaut zwar mal unter die Motorhaube hält es aber nicht für nötig eine Werkstatt aufzusuchen oder zu halten. Da ich hinten bei unserem Sohn sitze bekomme ich erst weitere 400 km später mit, dass die Warnblinklampe rot leuchtet und veranlasse, dass wir sofort eine Werkstatt anfahren….Hinterher bin ich gefordert nicht in meine mir wohl bekannte Vorwurfsnummer einzusteigen und übe mich in Mitgefühl und Verständnis.

Im Doñana-Nationalpark sehen wir Flamingos und Ibise.

Nein, es ist nicht einfach auf Naivität meines Mannes zurück zu führen. Es ist auch die Situation, die gerade an diesen Tagen in unserer Familie entstanden ist. Viel Streit zwischen den Kindern, eine hohe Anspannung und ein großer Leidensdruck sich JETZT um die Kinder und die Atmosphäre in der Familie zu kümmern. Damit der Kung-Fu-Panda eben nicht den Bus von innen zerlegt und das Teenagerkind mit den paar cm2 Elektronik in der Hand nicht abhaut.
Puh, da gibt es viel zu Halten, zu Beschwichtigen, zu Klären und zu Beruhigen in diesen zwei Tagen. Als die Information an mich heran tritt, dass sich Öl im Kühlwasser befindet muss ich mich selbst auch beruhigen und liebe es zu betrachten, wie mein Geist in Zukunftscenarien abdriftet und mein Atem mich ins Hier und Jetzt zurück holt. Immer wieder.

Wir wissen nicht, ob es für unseren Motor schon zu spät ist. Wir stehen mit dem Bus zwei Tage in einem Industriegebiet in Süd-Spanien zwischen riesigen Kränen und Tanks. Ein Nothalt, nur ein paar hundert Meter von der nächsten Werkstatt entfernt, die erst am Montag wieder auf macht.

Das ganz und gar erstaunliche: Obwohl wir nicht wissen, ob wir unseren Bus behalten werden oder er zu Schrott vermahlen wird um dem riesigen Schrotthaufen neben uns an Fülle bei zu steuern, obwohl wir nicht wissen ob wir unsere Reise vielleicht zu Fuß weiter führen müssen oder sogar abbrechen müssen, weil wir unser Geld mit der Arbeitskraft von Automechanikern tauschen, haben die Kinder allerbeste Laune! Unser Teenager sieht ganz glücklich aus und bemerkt : „Endlich passiert mal was!“ Wir verbringen einen schönen Tag zwischen Fabriken am Industriehafen, können ganz gemütlich auf dem Bürgersteig kochen (dieses Bild wie mein Sohn mit Taucherbrille auf den Augen Zwiebeln schneidet werde ich hoffentlich immer in meinem Herzen bewahren) und machen sogar einen urgemütlichen Mittagsschlaf in unserem Gemeinschaftsbett. Abends messen wir unsere körperlichen Kräfte und weil eine Packung Toffifee gegen einen handyfreien Tag steht, übertrifft meine Tochter mich und macht mehr als 200 Hampelmänner…

Am nächsten Tag erkunden wir die Gegend mit dem Fahrrad. Und sind entsetzt. Ich habe viel gesehen. Slums in Indien, Hafenviertel in Bangladesch. Aber auf so ein Elend und Dreck in der „westlichen“ Welt war ich nicht vorbereitet. Ein Plastikfolien-Gewächshaus reiht sich Kilometer über Kilometer ans andere. Dazwischen zermatschtes Gemüse, Fabriken, Lastwagen, Kloake, Dreck und arme Menschen-oft sind es Geflüchtete, die hier für weit unter dem Mindestlohn arbeiten. In diesen „Gewächshäusern“ entsteht (wächst…wenn man das hier so nennen kann) tatsächlich das Gemüse und Obst, das wir hochglanzpoliert in (nicht nur) deutschen Supermärkten vor finden. Leute ich sag euch: Ekelerregend! Stop eating non-organic vegetables! Stop eating vegetables from Spain!!

Möge diese Erde heilen. Und wir Menschen mit ihr. Möge sich unser Bewusstsein zum Wohle aller Lebewesen entfalten. Mögen wir die bestmögliche Umstände für unser Erwachen annehmen und Frieden in uns und in der Welt kultivieren.

With love from Nirmala💜

PS. Da uns die eben beschriebene Gegend noch in den Knochen liegt haben wir uns in den Sierra Nevada Nationalpark zurück gezogen. Nach weiteren zwei Tagen Reparatur fährt der Bus wieder…

Mandelbäume im Sierra Nevada NP